Heute ist der Tag, an dem engagierte Leiter oder Gründer von verschiedenen Projekten eingeladen sind.

Es werden verschiedene Pannels angeboten zu dem Thema, Wasser, Ernährung, Erziehung, Spiritualität, Musik. Wieder sind wir berührt von der Fülle des Denkens und Handelns, das sich hier an einem Ort versammelt.

Ich möchte besonders Hermes hervorheben – er sagt, dass er weder der griechische noch der ägyptische Hermes sei, nicht der Götterbote sondern der “Hermes” der Bauern. Er wollte den Menschen, die unter ähnlichen schwierigen Umständen aufwachsen, wie er selbst, Möglichkeiten bieten, eine neue Sicht auf das Leben zu bekommen. Man spricht über ihn als demjenigen, der unter der Brücke eine Schule errichtet hat.

Es ist bewegend, mit welchem Engagement und auch Humor er über seine Arbeit spricht. Er hat über 10 Jahre in Gefängnis verbracht, er ist immer wieder geflohen. Zwei Mal haben sie ihn wieder eingesammelt. Er hadert nicht mit seinem Schicksal, sondern sagt, dass auch dies Teil seiner Führung war. Es war die Keimzelle und Schmiede seiner Persönlichkeit. Ich habe gelernt, was es heisst, einen freien Geist, ein freies Herz und eine freie Spiritualität zu entwickeln. Als er aus dem Gefängnis kam, hat er begonnen eine Schule aufzubauen.

“Ich kam zurück in die Favela, eine Favela mit der zweit höchsten Gewaltrate der Welt.

Ich habe dies empfunden wie einen Aufruf nach Würde, nach Gerechtigkeit und wahrer Freiheit. Das hat mich dazu geführt, eine neue Form der Erziehung zu entwickeln. Wir haben ein gemeinsames Ziel: eine bessere Welt. In mir lebt der Gedanke: wenn wir es schaffen, an einem Ort Heilung zu bewirken, dann geschieht dies überall.” Lachend weist er auf Salim hin, der aus Benin kommend irgendwie einen sehr ähnlichen Weg gegangen ist.

“Meine Kernfrage, die ich an alle stelle, lautet immer: Wer bin ich? Wo komme ich her? Wo will ich hin? Diese Frage hat eine enorme transformatorische Kraft. Indem ich sie gewissenhaft gestellt habe, habe ich mich von einer 10jährigen Drogenabhängigkeit befreit. Ich hadere nicht mit der Drogenzeit, auch dies war Teil meiner Lehren, ich habe viel von den Drogen gelernt, aber ich musste mich daraus befreien. Heute haben wir 10-Tausende von Schülern. Unsere Universität der Favela hat 5 verschiedene Säulen. Die erste Säule ist die Kunst als Kultur bildende und schöpferische Kraft der Befreiung, die zweite ist die Ernährung, ich muss wissen, wo mein Essen herkommt und was mein Körper braucht und liebt, das dritte ist die Ökologie. In unserem Slum gibt es auch einen “Auguaforest”, hier erlernen wir Wissen über das Leben, die Tiere und das Wasser, die vierte Säule ist die Gemeinschaft und in dem Zusammenhang die Kommunikation. Durch was entsteht weniger Aggressivität? Und die fünfte Säule ist die Ökonomie. Hier geht es um den Ausstieg aus der Konkurrenz, Lernen, was Solidarität wirklich bedeutet. Hier entwickelt sich das Netzwerk der soliden Beziehungen. Das sind die Grundlagen, mit denen wir eine neue Manifestation einer neuen Menschheit bewirken können.” Ähnlich radikal spricht auch Dona Eda, der es auch gelungen ist eine große Schule aufzubauen. Heute gehen 1800 Personen in die von ihr gegründete Schule. Ihre Kernfrage war: wie schaffen wir gemeinschaftliches Denken, wie bringe ich die Schüler dahin, in die Co-Creation einzutreten?

Ich selbst habe zusammen mit Arkunin über Spiritualität gesprochen. Die richtigen Worte zu finden über Spiritualität als die Quelle des Vertrauens und des wahren Revolution, Spiritualität nicht als Flucht vor dem Leben, sondern als Hinwendung zu der Macht einer inneren und äußeren Transformation, das war die Aufgabe.

Arakurin, Capoeirameister, der in Tamera unsere Jugend begeistert hat, spricht in ganz ähnlicher Weise über den Kern der Spiritualität, er erzählt, wie er den Katholizismus verlassen musste und er geführt wurde zu Capoeira, als Quelle der Kraft und der Spiritualität. “Wir sind verantwortlich für unsere Gedanken und für unser Handeln, und merken oft gar nicht, wie sehr wir von negativen Gedanken gesteuert sind. Tamera hat in meinem Leben viel bewirkt. Ich bin so dankbar, dass ihr hier seid! Jetzt schaffen wir unser Tamera hier! Es gibt keine Revolution im äußeren, ohne eine wirkliche innere Revolution.”

Der Höhepunkt der Veranstaltung war eine Samba-session.  Samantha Santos, über 70 Jahre alt, von allen geliebt und bewundert, füllt mit ihrer tiefen lebendigen Stimme den Raum. Gabriel, der vorher einen Pannel mit ihr gehalten hat, unterstützt sie mit seiner musikalischen Seele. Samantha spricht darüber, wie die Musik ihr das Leben gerettet hat.  Um sie herum vier Männer die sie mit ihrer Percussion und ihren Stimmen unterstützen. Nach und nach füllt sich der Raum mit tanzenden Menschen. Samba ist für sie alle eine lebendige Quelle, um ihren Schmerz in Kraft zu transformieren. Es ist etwas, das sie zusammenhält. Auffallend ist für mich die machtvolle Ausstrahlung der reifen Frauen, mit ihren Falten und runden Formen strahlen sie eine Art von Würde und Lebendigkeit aus, an denen wir uns ein Vorbild nehmen können. Küche-kochen- Kinder, das sind hier keine minderwertigen Werte, aus denen man sich befreien muss, sie bilden das Herz der revolutionären Kraft.

Man spürt, dass sich hier lebendige Frauenkreise bilden, wo die Emanzipation sich nicht gegen den Mann richtet, sondern es geht ihnen um eine verantwortliche Teilnahme an den Werten einer neuen Gesellschaft und einer wirklichen Weiblichkeit. Sie alle wissen, dass sie sprechen müssen, aussteigen aus dem Schweigen, Überwindung des Patriarchats auf einer neuen tiefen Ebene der Anteilnahme am Schicksal der  Menschheit. Dass hier noch viel Arbeit zu tun ist, wissen sie.

Am späten Nachmittag trifft sich die “Defend the sacred” Allianz das erste Mal unter sich. Es ist herausfordernd, die richtigen Worte zu finden. Wofür stehen wir als Allianz? Können wir nächste Punkte sehen, die wir gemeinsam zu uns nehmen wollen?

Stuart führt uns in einen Wahrnehmungsraum mit der Frage: was hat uns besonders berührt und welche Notwendigkeit wächst aus dieser Berührung? Bei mir kommen drei Punkte mit hoher Notwendigkeit: Jugend, Globaler Campus und Kunst. Das sind die Aspekte, die mich besonders rufen, wo mein Herz fühlt, dass hier nächste Schritte anstehen und wo mein Biocomputer arbeitet. Das schreibe ich nur als Person, nicht im Namen der ganzen Allianz. Es gibt eine Transformation, die führt zu immer größeren Verbindlichkeit der inneren Stimme gegenüber. Ich sehe ein Jugendcamp vor mir, wo Musik und Kunst als Quelle der Revolution im Zentrum stehen. Die Jugend aus der Friedensgemeinschaft, die Jugend aus der Favela, vielleicht auch aus Afrika und Kamerun, das ist Teil einer Vision, die ich im Herzen trage. Dadurch, dass sie sich gegenseitig kennenlernen, fühlen sie den Puls der Zeit und dass sie Teil einer größeren globalen Bewegung sind. Sie brauchen das Gefühl, zu etwas Größerem dazu zu gehören.

Man muss oft weit wegfahren, um den Wert zu erkennen, den wir als Keimzelle für andere Menschen bilden. Und jetzt die Verantwortung annehmen. Der Kulturkristall, er wird geschliffen auf anderen Wegen, als wir manchmal denken.

Nach einem solchen Höhepunkt gibt es noch einen weiteren. Ein freier Abend – Seele baumeln lassen! Wir fahren in eine nahe gelegene Bar mit einem Restaurant. Es wurde von einem Freund von Cláudio aufgebaut. Ein wunderbares Fest mit viel Musik und Tanz! Ein kollektiver Liebesraum wurde freigesetzt und möchte jetzt Ausdruck finden. Es rührt mich zu Tränen, zu sehen, wie German und Levis aufblühen. Einmal nicht die Verantwortung tragen müssen und eine Lebensfreude erfahren, die ihrem Alter entspricht.