Ein Gang durch die Stadt für letzte Besorgungen und Vorbereitungen auf San José de Apartado. Viele Bettler sind unterwegs. Wir treffen einen Bettler, dem man ansieht, dass er eine gewisse lebendige Lebensfreude behalten hat. Es ist, als treffe man in seinen Augen Wasudeva – das lebendige Leben. Andere sind aggressiv und fordernd! Es ist eine hohe Übung, das Herz offen zu halten und sich trotzdem davon nicht weg reissen zu lassen. Wir werden gewarnt, auf der Strasse niemandem Geld zu geben. Wir folgen trotzdem unserer inneren Führung.
Durch die Hauptstrasse verläuft eine riesige Demonstration. Es ist eine Demonstration gegen den Präsidenten, Gustavo Petro.
Es erinnert mich daran, wie wir vor vielen Jahren nach Moskau gereist sind, bewegt von der Perestroika, und als erstes begrüsst wurden von einer tobenden Menschenmenge gegen Gorbatschov, hysterisch schrien sie nach Jelsin. Man hat das Gefühl als würde das kollektive Unbewusste durch die Strassen ziehen, der Hypnose eines mächtigen Systems folgend: wir wollen, das alles so bleibt, wie es ist! Wir wollen den Untergang!
Hervorzuheben aus diesem Tag: Ein wunderbares Frühstück und sehr lebendiges Gespräch mit unserer unserer Wirtin Margarida. Sie pflegt ihren Garten im Innenhof mit grosser Hingabe. Sie gehört zu der Gruppe von Menschen, die nur noch auf spirituellem Weg nach Transformation suchen. Da ist kein politischer Glaube mehr, keine Kraft mehr für politische Aktion. Und doch glaubt sie, dass wir mitten in einer Transformation sind, die die Menschheit radikal verändern wird. Sie lebt in einer Ruhe und Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge und so bewirtet sie uns liebevoll und dankbar!
Der Höhepunkt ist ein bewegendes Gespräch mit Gloria Guartas, die seit neuestem die Direktorin für die Einheit für die Einhaltung des Friedensabkommens ist. Sie ist in dieser Position mit verantwortlich für die Eindämmung der Gewalt gegen Anführer und ehemalige Kämpfer.
Gloria erzählt engagiert über ihre neue Aufgabe. Sie ist der Ansicht, dass die neue Regierung unter Petro Gustav das erste Mal seit Jahrzenhten eine Regierung ist, die wirklich nach Humanität sucht und entschlossen ist dazu, alles dafür zu tun, die Gewalt zu beenden, nicht nur auf dem Papier. Sie wollen alles daran setzen Korruption und Gewalt zu beenden und auch das Land nicht weiter auszubeuten. Sie ist sich der grossen Herausforderung sehr bewusst und sucht und hält den Kontakt zu Tamera, weil sie weiss, dass die verändernde Kraft auf dieser Erde nur durch dezentrale Modelle entstehen wird, die auf allen Ebenen versuchen herauszufinden, was Humanität und Gewaltfreiheit bedeutet. Es handelt sich ja um eine Frage der seelischen Bereitschaft zur Selbstveränderung, und gleichzeitig ist es eine Frage: wie schaffen wir Strukturen, die in der Lage sind, inneren und äusseren Frieden möglich zu machen.
Es ist bewegend diese Frau zu sehen. Eher verjüngt, lebendig und so enagiert. Sie hat die Aufgabe, gleichzeitig alle Friedens-engagierten Gruppen kennenzulernen, zusammenzuführen und zu unterstützen. Sie beschreibt den Schmerz der vielen Menschen, die sich von der letzten Regierung betrogen fühlten und ein Leben unter schwierigsten Bedingungen führen. Allein über 340 führende Kräfte wurden in den letzten Jahren umgebracht. Während die Welt daran glaubte, dass Kolumbien beispielhaft ein Friedensabkommen durchführt, nahm das Elend, die Gewalt, die Armut immer mehr zu. Jetzt weht ein neuer Wind aus der Regierung, und sie werden in den vier Jahren, die ihnen zur Verfügung stehen, alles dafür tun, einen neuen Weg einzuschlagen.
Gloria schildert mit herzhafter Hingabe, auf wieviele engagierte Menschen sie trifft, vor allem auch Frauen aus der ehemaligen Guerilla-bewegung, sie schildert die Zusammenarbeit mit Indigenen, und mit Menschen, die engagiert nach Wegen in der Kooperation mit der Natur suchen, auch im Bereich der Technologie. Von 1995 -1997 war sie Bürgermeisterin in Apartado, durch sie wurden wir in Tamera auf die Friedensgemeinschaft aufmerksam. Sie verschliesst ihr Herz nicht vor dem Elend dieser Welt, sie wächst daran.
Sie ist sich bewusst, dass die neue Regierung auf viele Widerstände stossen wird. Aber die Menschen, die lange Zeit im bewaffneten Widerstand gearbeitet haben, sind gereift, sie wissen, dass Gewalt keine Antwort ist auf die drängenden Fragen der Zeit. Es geht ihnen um tiefe Bereitschaft, tatsächlich diejenigen Kräfte in sich zu versammeln, die in der Lage sind, eine gewaltfreie Revolution einzuleiten.
Im Grunde setzt Gloria für mich ein Bespiel für das, was wir auch in der “Defend the sacred Allianz” suchen: Spirituelle Forschung und politischen Aktionismus zu verbinden, die Erde mit ihren vielen sichtbaren und unsichtbaren Wesen als Kooperationspartnerin zu erkennen. Es geht nicht länger um Ismen, sondern der Macht des Lebens eine Chance zu geben.
Dafür liebe ich sie. So, wie viele Widerstandskämpfer vor ihr, wie z.Beispiel Jaques Luysserand oder Etti Hilesum, gibt sie nicht auf! Sie geht ihren Weg in hingebungsvoller Anteilnahme! Danke dafür.