Die Friedensgemeinschaft San José de Apartadó liegt in der nördlichen Region von Urabá und befindet sich in einer Region, die von verschiedenen bewaffneten Gruppen wegen ihrer strategischen Lage und ihrer natürlichen Ressourcen heftig umkämpft wurde und immer noch wird.
Die Bauern von San José de Apartadó waren am 23. März 1997 zusammengekommen, nachdem sie von ihren Grundstücken vertrieben worden waren, Angehörige verloren hatten bzw. von verschiedenen bewaffneten Gruppen bedroht worden waren. Sie erklärten dem Land und der Welt, dass sie ihr Land nicht verlassen würden, sondern eine Friedensgemeinschaft als Akt des gewaltlosen zivilen Widerstands gründen würden. Sie wurden darin vom Jesuitenpater Javier Giraldo und der damaligen Bürgermeisterin von Apartadó, Gloria Cuartas, sowie von internationalen Menschenrechtsorganisationen unterstützt. Mehr Hintergrundsinformationen findet ihr unter hier.
Wir kamen 2001 mit der Gemeinschaft in Berührung, 2005 vertieften wir die Kooperation und 2008 führten wir die erste Pilgerschaft durch mit einem anschließenden Globalen Campus in Zusammenarbeit mit der Universidade de Resistencia. Es ist unser Anliegen, ihre wichtige Rolle als Modell- und Ausbildungszentrum für Frieden, Gemeinschaftsbildung und Autonomie im ganzen Land und in der Welt zu stärken und dadurch Schutz aufzubauen, dass die Welt ihre Situation, so wie die vieler anderer Gruppen, zur Kenntnis nimmt.
Die Gemeinschaft erkannte auf ihrem Weg des Widerstandes, dass die Wunden des Krieges heilen und das Potential für Anteilnahme, Vergebung und Zusammenarbeit in Menschen aktiviert werden kann. Sie machten die Erfahrung an sich selbst, dass Heilung auch bei den schlimmsten Grauen, die sie erlebt haben, möglich ist. Hiermit können und wollen sie ein Beispiel setzen für andere. Bis heute halten sie sich an folgende Prinzipien:
- Teilnahme an der Gemeinschaftsarbeit
- Widerstand gegen Ungerechtigkeit
- Verzicht auf Waffen sowie direkte oder indirekte Teilnahme am bewaffneten Konflikt
- Keine Informationsweitergabe an die am Konflikt beteiligten Parteien
- Keinen Konsum oder Verkauf von Alkohol oder Drogen
Mit dem enttäuschenden Verlauf des Friedensabkommens unter Präsident Santos, und den vielen Verlusten leitender Kräfte, weiteren Morden in der Umgebung, unter dem Druck der vielen Morddrohungen und dem Abzug aller internationalen Kräfte, konnten viele seelisch dem Druck nicht mehr standhalten. Wir saßen zusammen z.B. mit Silvia, 57. Jahre alt, deren Sohn 22 Jahre alt war, als er vor drei Jahren tot in seinem Bett in Apartado aufgefunden wurde. Das Paramilitär wollte etwas von ihm, was er nicht wollte. So haben sie ihn kurzerhand erschossen. Das geschah genau in der Zeit, als Gildado, einer der leitenden Kräfte der Gemeinschaft, bei uns in Tamera war.
Und jetzt sitzen wir zusammen mit Silvia und all diese Ereignisse rücken noch einmal ganz nah. Sie selbst traut sich kaum noch vor die Tür. Das sind einzelne Beispiele, womit man jetzt Seiten füllen könnte, und natürlich ist es unter diesen Umständen herausfordernd, den Glauben zu behalten.
Viele haben die Hoffnung verloren, andere sind duch die Widerstände eher gewachsen. Dazu gehört Brigida, die für viele aus der internationalen Welt, die mit der Friedensgemeinschaft verbunden sind, ein beliebter Pol geworden ist. Ihr Urgrossvater, drei Brüder, drei Kinder, vier Cousins, zwei Onkel, fünf Neffen, alle sind eines gewaltsamen Todes gestorben. Manche sind von der Guerillas, andere durch das Paramiitär oder auch das Militär umgekommen. Sie musste sich durcharbeiten durch viele traumatischen Schichten und ist jetzt im ganzen Dorf eine Lichtfigur geworden.
Hier einige Aufzeichnungen aus einem Gespräch mit ihr: Wir fragen sie, was sie hier von der neuen Regierung mit Gustavo Petro halten. Wir wissen, dass die Friedensgemeinschaft noch nie mit einer Regierung kooperiert hat, da sie nicht daran glauben, dass aus einem korrupten System die Veränderung kommen kann, nach der sich alle so sehnen. Und als Regierung ist man gewissermassen gezwungen, sich einem korrupten System anzupassen.
In ihrer schlichten Art antwortet sie: Gustavo Petro hat viel Kraft, aber alleine kann er nichts erreichen.
Es ist ein markanter Wechsel, der gerade läuft. Viele sagen, dass wir seit über 60 Jahren im Krieg leben, aber es ist in Wirklichkeit viel länger. Seit Columbus das Land betreten hat, ist hier eine Kriegskultur. Auf einer bestimmten Ebene schätzt sie Petro, weil er den Menschen klar sagt: Ihr kriegt nicht alles geschenkt, ihr müsst etwas dafür tun!
Gleichzeitig spürt man, dass sie es fast für unmöglich hält, unter den gegebenen Umständen die gewünschte Veränderung zu erreichen. Viel zu viele stellen sich quer, die wachsende Armut, die globale Krise, und er hat nur vier Jahre Zeit. “Da muss ein Wunder geschehen,” sagt sie, aber ist sie ist offen für Wunder.
Es müsste etwas geben, wo er den Menschen versprechen kann, dass sie auf dem Land arbeiten können, dort bleiben, gesund leben können und ohne die Natur zu zerstören.
Was das Paramilitär heute macht: Sie bieten den Menschen Geld. Sie erpressen die Menschen zu schweigen, indem sie ihnen Schutzgeld anbieten.
Den steigenden Reichtum in Aparttado erklärt sie mit den Drogenbaronen, (Narcotraficantes), aber leztlich gehören auch sie zum Paramilitär. Sie schildert die Situation von German, einem der Leiter der Gemeinschaft. Es wurde gerichtlich angeordnet, dass er nichts öffentlich aussagen darf über die 17. Brigade und das Militär, (unter deren Anordnungen enorm viel Gewalt geschehen ist), sonst kann er verhaftet werden. Sie schildert, wie sie eine gemeinsame Pilgerschaft organisiert haben. Sie alle zusammen haben sich hinter den German gestellt. Sie sind gemeinsam nach Apartatdo gegangen mit Schildern und haben gesagt: Ich bin Germann Graziano. Sie erzählt es mit sehr viel Humor und Freude.
Gleichzeitig schildert sie auch die schwierigen Situationen. Junge Menschen aus der Gemeinschaft haben die Gemeinschaft verlassen und sind übergewechselt zum Paramilitär. Das ist eine schmerzhafte Erfahrung. Andrea fragt, ob sie zurück kommen können, wenn sie eingesehen haben, dass es falsch war? Sie schüttelt den Kopf “Das ist schwer zu beantworten, weil das Vertrauen so tief zerstört wurde. Sie machen ja eine richtige Gehirnwäsche durch. Wir sind solidarisch mit allen. Aber es kann nicht jeder einfach hierher kommen, hier müssen wir uns darauf verlassen können, dass sich die Menschen an die Regeln halten.”
Vielen wird Geld angeboten, man bietet es an als eine Art Entschädigung für das, was sie erlebt haben während des Krieges. Aber für sie steckt da viel mehr dahinter, es ist eine Art Schweigegeld. Damit sind sie nicht einverstanden. Es ist eine kollektive Angelegenheit. “Wir wollen, dass unsere Autonomie akzeptiert wird. Und dass unser Territorium aktezptiert wird. Das ist eigentlich nicht viel, was wir verlangen, wir wollen kein Geld, wir wollen unabhängig sein! Das Recht auf Freiheit, das ist von wenigen akzeptiert.”
Sie bewegt nachdenklich ihren Kopf hin und her, lacht etwas auf und sagt: “Das Leben hat keinen Preis, wir sind nicht wie ein Stück Vieh, was man auszahlen kann.”
Wir kommen auf den Begriff des Mikrosozialismus zu sprechen, ein Begriff, der vor Jahren oft benutzt wurde mit der Vorstellung, dass die Guerilla ihre Waffen niederlegt und sie sich zu kleinen Solidargemeinschaften zusammenschliessen.
“Es ist mehr als ein Mikrosozialismus. Wie können wir überhaupt zusammen leben, das ist eine grosse Frage. Wir mussten im Laufe der Jahre lernen, was Solidarität und Gemeinschaft bedeutet, das bildet sich nicht von alleine.”
Das Leben ist unsere Schule. Wir haben nur bestimmte Kapazitäten. Aber wir gehen immer weiter. Geduld, Beharrlichkeit, Durchhaltekraft, Liebe zum Leben und zur Natur. Sie lehrt uns. Wir müssen ein bisschen verdauen und machen uns auf, auf einen Spaziergang und begrüssen einzelne Menschen aus der Gemeinschaft…
Regen Regen Regen. Ich verweile eine Weile an dem kleinen Steinkreis, den wir vor vielen Jahren hier gemeinsam errichtet haben. Zusammen mit den Mitgliedern haben wir die Aspekte heraus gearbeitet, die ihnen von Bedeutung sind. Eduard Lanchero, der vor einigen Jahren verstorben ist, Mitbegründer und Visionär mit dem wir zusammen zwei Pilgerschaften durchgeführt habent, sagte bei einem Treffen des Global Campus 2010:
„Die bewaffneten Gruppen sind nicht die einzigen, die töten. Es ist die Logik hinter dem ganzen System. Die Art und Weise, wie Menschen leben, erzeugt diese Art von Tod. Deshalb haben wir uns entschieden, so zu leben, dass unser Leben Leben erzeugt. Eine Grundbedingung, die uns am Leben hielt, war, das Spiel der Angst nicht zu spielen, das uns die Morde der Streitkräfte auferlegt hatten. Wir haben unsere Wahl getroffen. Wir haben das Leben gewählt. Das Leben korrigiert uns und leitet uns. “
Heute ist er nicht mehr unter den Lebenden, ein schwerer Verlust für die Gemeinschaft. Wir besuchen das Grab, das die Gemeinschaft für Eduard errichtet hat und daneben die kleine Kapelle.
Mit den gemeinsam entwickelten Kosmogrammen wurden die Kirchenfenster innerhalb der Kapelle gestaltet. Zusammen sitzen wir in der Kapelle, horchen auf den Regen und singen einige Lieder, die uns mit der Ewigkeitsschwingung in Verbindung bringen. Es ist, als wäre Eduardo unter uns. Es hilft mir bei der seelischen Landung vor Ort, denn es ist nicht ganz leicht zu verdauen, was die Gemeinschaft in den letzten Jahren durchgemacht hat und wie sehr sie sich betrogen fühlen von der Entwicklung der letzten Jahre.