Dienstag, 14. November abends
Wir sind an einem sehr speziellen Ort in Medellín gelandet, etwa 2.200 Meter hoch. Die Gastgeber sind freundlich und möchten uns auf allen Ebenen unterstützen. Es gibt sogar einen Jacuzzi hier und ein türkisches Bad, aber da wir wenig Zeit zur Verfügung haben, um uns als Gemeinschaftskörper einzuschwingen, kommt es am späten Abend nur bedingt zum Einsatz.
Wir haben den Vormittag für uns. Leider regnet es viel, so dass nicht viel Zeit bleibt für die Erkundung des Ortes. Für mich ist das Wesen des Wassers hier sehr präsent und ich höre die kleinen Bäche, wie sie den Hang hinunterfließen. Ich vermute, dass wir in der nächsten Zeit viel intimer mit dem Thema des Wassers arbeiten werden.
Unser erstes Gruppentreffen findet am Nachmittag statt. Es sind sehr verschiedene Schwingungen, die sich zu einem gemeinsamen Gruppenkörper formen wollen. Ich bin erfreut, dass Cheryl Angel Sicangu Lakota unter uns ist und mit ihr zusammen Eleanor Ferguson, ein junge Frau, die gemeinsam mit drei anderen Jugendlichen, darunter ihre Freundin Tocata, die auch in Tamera war, die riesige Aktion von „Standing Rock“ mitinspiriert hat, als sie 13 Jahre alt war. So erzählt es uns Cheryl, eine warmherzige Frau, die sich sehr für die jungen indigenen Kräfte einsetzt.
Durch ihre Anwesenheit fühle ich die Präsenz von Ladonna Brave Bull Allard, die vor einigen Jahren an einem Gehirntumor verstorben ist. Sie sagte vor Jahren bei unseren Ursprungstreffen der „Defend the Sacred“-Allianz:
„Eines der Dinge, die ich den Leuten sage, ist, dass Standing Rock nur ein Samen war, und dieser Samen hat sich international verbreitet.“
Cheryl ist jetzt unter uns und trägt zusammen mit Eleanor diesen Samen weiter. Als wir der „Defend the Sacred“-Allianz den Namen gaben, reagierten viele mit der Aussage, dass man das Heilige doch nicht verteidigen müsse. Für mich war die Wirkung von „Standing Rock“ deswegen so wegweisend, weil durch ihr Engagement das „Heilige“ auch in der linken Bewegung wieder eine Bedeutung bekam, die jenseits von Religionen liegt. Selbst das Wort „heilig“ wurde missbraucht und braucht eine Reinigung. Das Heilige muss sich nicht verteidigen, aber wir als Menschen, sind gerufen es wieder in unser Bewusstsein zu bringen. Nur mit der Allianz der heiligen Kräfte des Lebens, werden wir eine Friedensbewegung zum Erfolg bringen können.
Cheryl gründete das „Sacred Activism in Sacred Stone“- Camp und leitete den größten Frauenmarsch in Standing Rock. Sie verbindet Frauen, Kunst und Aktivismus, um Wasser zu schützen, und inspiriert SHE, ein Kollektiv von Musikerinnen, Künstlerinnen und Aktivistinnen, das Gemeinden unterstützt, die ihr Trinkwasser vor Verschmutzung schützen. Ihr Mitgefühl für andere gibt ihr den Mut, ihre Stimme zu erheben, und sie konzentriert sich in ihrer Arbeit auf den Schutz des Wassers, die Wiederverbindung der Menschen mit der Natur und die Würdigung der Wurzeln ihrer Vorfahren.
In einer Runde spricht sie darüber, dass sie immer wieder nach Europa reist, um Menschen auch dort an ihre Ursprünge zu erinnern. „Es gibt überall ‚indigene Wurzeln‘, und es ist unsere Aufgabe, uns daran zu erinnern.“ Diese Worte berühren mein Herz, denn oft wurde ich Zeuge von Ansichten aus „Turtle Island“, die auch die Trennung vollziehen und der Auffassung sind, dass es in Europa keine indigenen Wurzeln gibt. Der Genozid, der an vielen Orten dieser Erde stattfand und noch immer stattfindet, geschah auch in Europa vor Tausenden von Jahren. Das ursprüngliche Gemeinschaftswissen wurde zerstört, und wir müssen tiefe Versöhnungsarbeit untereinander vollziehen, um uns an unsere wahren Wurzeln zu erinnern.
Es ist für mich ein recht ungewöhnlicher Schritt, mit einer Gruppe von Menschen zu reisen, die ich fast noch nicht kenne, und die im Namen der Allianz unterwegs sind. Eine ganze Gruppe von Mexiko ist unter uns.
Miguel Ángel Pimentel aus Peru ist mir vertraut und ich weiß, in welcher Verbindlichkeit er mit der Tradition der indigenen Kultur Perus arbeitet. Seine Spezialität besteht darin, Offerings durchzuführen, eine Art, sich tief mit dem Erdkörper zu verbinden, mit den Bergen, den Gewässern und allen Wesen der Region. Sein Lehrer war Taita Matin, der vor einigen Jahren vor seinem Haus in Cusco tödlich verunglückt ist. Einige Menschen aus Tamera haben ihn noch persönlich kennengelernt und wir verbinden uns an unserem Altar oft mit seiner Seele.
Da ich ohne Computer reise, wird das Schreiben in der kommenden Zeit etwas kompliziert. Mein großer Dank gilt Elisa, die weiterhin die Tagebücher überarbeitet, ergänzt und korrigiert.
Die weiteren Mitreisenden auf dieser Reise sind:
Ati Quigua, die Gastgeberin, eine Anführerin des Iku-Stammes der Arhuaco; Gabriel Meyer, der auch bereits in der Comunidad de Paz dabei war; Miguel Humblet, Architekt, Künstler, Ökologischer Berater aus Portugal; Carmen Jedinger aus Österreich und Portugal, eine spirituelle Mentorin und Gründerin von Antara Atelier; Ivan S. García, ein Kulturunternehmer, Medienproduzent und Aktivist für die Rechte der Ureinwohner in Nord- und Südamerika; Rajendra Singh und Indra Shekhar Singh aus Indien, die auch bereits mit uns zusammen in der Friedensgemeinschaft von San José waren; Helena Manrique, die auch seit unserer Zeit in der Comunidad de Paz dabei ist; Alfredo Eduardo Chavez Guzman, Wächter der Wirikuta Wüste und Verbündeter der Huicholen – wir nennen ihn Lalo – und seine Partnerin Amelie; und natürlich Nevaith und Luis Miguel aus der Comunidad de Paz, die uns ebenfalls hier auf diesem zweiten Teil der Reise begleiten.
Zusätzlich reisen zwei Übersetzer, Alexander und Alexandra, mit uns, die sich als planetarische Pilger verstehen. Tracy, eine Friedensjournalistin, und Alheri Perez, ein junger kolumbianischer Mann, der in Norwegen geboren wurde und jetzt in einem der größten Ökodörfer Kolumbiens lebt, haben sich im letzten Moment angeschlossen. Es ist gut, einige junge Menschen unter uns zu haben, die mit viel Mut und Kraft auf eine neue Zukunft hinsteuern. Alheri ist bisher immer wieder durch seine wunderschönen Lieder und seine umfassende Sicht der Dinge aufgefallen. Man spürt ihm an, dass er durch Solidarität geschult ist. Zusätzlich kommen immer wieder Menschen dazu, die Ati eingeladen hat.
Donnerstag, 14. November
Nach einem langen Tag in verschiedenen, teils verspäteten Flugzeugen von Medellín über Bogotá nach Valledupar kommen wir sehr spät in der Nacht bei den Arhuaco an. So verbringen wir die erste Nacht in einer wunderbaren Herberge.
Ausblick vom meinem Zimmer.
Ich habe nur etwa drei Stunden geschlafen, denn am Morgen treffen wir uns bereits um 7 Uhr. Es geht um die Frage, ob wir sofort in eine Zeremonie gehen oder uns erst „ausruhen“. Das Ausruhen besteht in weiteren Gesprächsrunden, um uns tiefer kennenzulernen und die Intention für unsere Reise als „Defend the Sacred“-Allianz an diesen Ort zu finden. Wir sind 20 Personen. Viele sind das erste Mal dabei.
Ich bin vor allem hier, um die Lebensform der Arhuaco kennenzulernen und natürlich neue Ideen für die Verbindung von Gebet und Aktion zu empfangen!
Schon am Nachmittag pilgern wir los und es klärt sich, dass wir woanders übernachten werden. Das „Ankommen“ war ein Kurzes. Sie führen uns zunächst an den Ort ihrer „Regierung“. Hier gibt es einen alten Steinkreis.
An einer heiligen Stätte nehmen wir unser Mittagsmahl ein. Ich bin berührt, von der Magie dieses Platzes und habe in Tamera immer wieder von einem ähnlichen Ort geträumt. Wir pilgern weiter, an eine weitere ihrer heiligen Stätten, die sie Kaduku nennen, der Ort, wo sie mit der Erde kommunizieren.
Am Abend zünden wir in einem kleinen, extra dafür errichteten Gebäude das heilige Feuer. Mit einem kleinen Stein zündet der Mamo, wie sie hier ihre Priester nennen, das heilige Feuer an. Miguel Ángel hat ein kleines Offering vorbereitet. Wir sind hier, um uns gemeinsam in unserer Intention auszurichten. Hier haben wir auch die Gelegenheit, unseren ersten Teil der Reise gut zu betten. Ich berichte über die Friedensgemeinschaft von San José und jeder von uns spricht über die tiefen Erfahrungen, die wir dort gemacht haben. Nevaith und Luis Miguel erzählen das erste Mal recht intim darüber, wie sie die beiden Opfer gefunden haben, die im Frühjahr ermordet wurden.
Jetzt habe ich das Gefühl, dass wir wirklich angekommen sind.
Freitag 15. November
Heute gilt der Tag dem Heiligen. Bereits um 6 Uhr morgens versammeln wir uns für die Morgenandacht. Heute ist Vollmond.
Wir treffen uns an einem weiteren Steinkreis. Ich bin bereits um 5 Uhr aufgestanden, um die Magie des Ortes für einen Augenblick in Stille zu erleben. Die Arhuaco erklären uns die tiefe Bedeutung der Steine, die die Informationen der Bestimmung dieses Ortes speichern.
Wir kommen mit einer alten Indigenen Kosmologie in Berührung. Für die Arhuaco entsteht alles Leben aus einer Vater-Mutterschaft. Alle lebendigen Wesen haben Mutter und Vater. Für sie trägt die Sonne beide Kräfte in sich, aber auch die Sonne wurde geboren. Wir als menschliche Wesen sind mit allen Elementen, Pflanzen, Tieren, Sternen, sichtbaren und unsichtbaren Kräften verbunden.
Heute haben sie uns tief in die Kommunikation mit der Erde eingeführt. Hier ist jedes Wort heilig, und trägt mehr spirituelle Kraft in sich, als unsere normal gesprochenen Worte. Bei allen Gebeten, halten sie Baumwolle oder auch Baumwollfäden in den Händen, und wir geben alle unsere Gedanken und Kräfte dort hinein.
Zunächst verbinden wir uns mit dem Ort, wo wir gezeugt und geboren wurden. Wir gehen im Geist zurück dorthin, wo es dunkel war und wir noch kein Licht kannten. Es geht um die Reinigung und Ehrung dieser heiligen Quelle. Anschließend verbinden wir uns mit unserer Plazenta. Sie ist für die Arhuaco der heiligste Ort, wo sich Himmel und Erde treffen, die Quelle unseres Lebens. Sie sagen, dass zur Stunde unserer Geburt bereits alle Informationen gespeichert sind, die unseren Lebensweg prägen. Wenn wir diese Informationen reinhalten, erhalten wir die Führung von der Erde.
Sie erklären uns, dass die Baumwollfäden benutzt werden wie Papier, auf das wir schreiben. Dort geben wir alle unsere Gedanken so hinein, dass die Erde sie aufnehmen kann. Sie beschreiben den Steinkreis wie Akupunktur, weil er ist mit vielen anderen Orten vernetzt ist. Die Arhuaco sprechen von 36 heiligen Flüssen ihrer Gegend und neun Lagunen. Sie zusammen bilden so etwas wie das Herz der Erde und haben die Aufgabe, die Kräfte in Balance zu halten.
Mir sind diese Kernformationen sehr vertraut, da ich durch den Steinkreis von Evora mit einer ganz ähnlichen Kosmologie verbunden bin. Das Ziel dieser Tage ist, dass wir eine Deklaration abgeben, die mit der Intelligenz der Erde verbunden ist. Für die Arhuaco ist es selbstverständlich, dass es neben den Menschenrechten, Wasser-, Feuer- und Erdrechte gibt. Pflanzen, Elemente, wir alle zusammen bilden die Allianz des Lebens. Aus dieser Verbindung entsteht die Verbindung zwischen heiliger Kraft und sozialer Kraft.
Samstag, 16. November
Der heutige Tag gilt dem Wasser. Das Wasser trägt enorm viel Schmerz, denn es wird überall misshandelt.
Ursprünglich wollten sie mit uns zu dem heiligen Wasserort fahren, aber die Straße ist wegen der starken Regenfälle gesperrt. Außerdem war es klar, dass wir noch menschliche Arbeit unter uns machen müssen, um wirklich wahrzunehmen, von wo die Wasser kommen, sie zu reinigen und sie dann erst miteinander zu vermischen.
Wieder gehen wir an einen kleinen Steinkreis an dem Ort, wo wir alle untergebracht sind. Jetzt beginnt die zeremonielle Arbeit. Der Mamo, der sehr still ist und nur spricht, wenn es nötig ist, erklärt uns zunächst in ihrer Muttersprache, wie wir beten sollen. Es ist ihm sehr wichtig, dass wir unsere Arbeit gut und präzise machen. Viele haben kein Wasser dabei, und so bittet er darum, dass wir zunächst mit den Wassern arbeiten, die wir bei uns haben. Der Mamo arbeitet das erste Mal mit Internationalen zusammen und es ist eine Kunst, eine Zeremonie durchzuführen, wo so viele verschiedene Sprachen in einem Kreis vertreten sind und alles ins Spanische und Englische übersetzt werden muss. Sie betonen immer wieder, dass ihre Sprache eine Art von innerer Logik hat, die wir nicht übersetzen können.
Wieder haben wir unsere Baumwollfäden in der Hand und vollziehen mit unseren Händen kleine Spiralen um unsere Wasser zu reinigen. Wir gehen an ihren Ursprung. Von dort vollziehen wir Spiralen und gehen durch alle Bereiche.
Durch die etwas holprige Moderation ist es nicht ganz leicht, im Gebet zu bleiben. Immer wieder kommen Fragen auf im Kreis, die nicht aus dem Gebetsraum kommen, sondern intellektuelle Erklärungen brauchen. Oder einzelne beginnen lange Geschichten zu erzählen, was sie erlebt haben, alles Dinge, die eigentlich nicht in einen Gebetskreis gehören. Ati bemüht sich mit großer Geduld um die Moderation, aber man spürt auch hier, dass ihr diese Erfahrung neu ist.
Mir gelingt es trotzdem recht gut, mich mit unserer Orakel-Quelle zu verbinden, der Trinkwasserquelle und mit dem Sado, dem Fluss, in den unsere Wasser bis hin zum Ozean fließen, wo der Sado ins Meer mündet. Vor meinen geschlossenen Augen sehe ich die Delphine im Meer, wie sie uns begrüßt haben, als wir nach einer mehrwöchigen Pilgerschaft schließlich die Mündung erreichten. Für die Arhuaco sind es heilige Orte, wo die Flüsse das Meer berühren, und es ist unsere Aufgabe, sie auf allen Ebenen reinzuhalten.
Wir verbinden unsere Gebete mit den neun Lagunen, den Müttern ihrer Gewässer hier, und mit den 36 Flüssen. Dann sind wir gebeten, die heiligen Orte des Landes aufzusuchen. Sie betonen, dass es ursprünglich in jedem Land einen „Mamo“ gibt – was wir in unserer Sprache „Priester“ nennen würden, wenn es nicht so religiös entstellt wäre –, der die Aufgabe hat, mit den Wassern zu kommunizieren. Dieses Wissen wird von Generation zu Generation weitergereicht. Sie haben einen Stab, der sie mit den Wassern verbindet, zusätzlich haben alle Länder heilige Orte, wo die Kommunikation mit den Wassern praktiziert wird.
Ich sehe unseren Steinkreis in Evora vor mir, die vielen heiligen Orte und uralten Dolmen in der Nähe von Monsaraz.
Mein Geist wandert an die Westküste, wo sehr viel Missbrauch geschieht durch die Gewächshäuser, die das Klima auf eine Weise beeinträchtigen, dass die Wolken nicht ihre natürliche Zyklen gehen können. Ich gehe im Geist zu unseren heiligen Bergen, wo durch den Abbau von Lithium auch Missbrauch betrieben wird. Ich stelle mir die Reinigung vor, Berge, die wieder bewaldet sind. Ich sehe die natürliche Biodiversität vor mir. Mein Herz ist erfüllt mit Dankbarkeit, dass wir von Tamera aus bereits so viel zur Heilung des Wassers und dem wachsenden Netzwerk um das Wasser beitragen konnten. „Tamera“ bedeutet am Ursprung der Quelle. Ich grüße im Geist unseren Altar, wo wir so viele heilige Wasser versammelt haben und bitte um Hilfe und Unterstützung, dass wir als Gemeinschaft die Stimme unseres Landes hören und die Aufgabe annehmen können, die uns gegeben wurde.
Was ich nicht sehen kann, sind die Mamos, die die Verantwortung für das Wasser tragen und für das Land und so bitte ich darum, dass sie in der Zukunft wieder erscheinen mögen.
Irgendwann beginnt ein Besucher eine recht lange Geschichte zu erzählen, wo ich merke, dass ich meine Gebetsschwingung nicht mehr halten kann. Ich bitte freundlich darum, dass wir unterscheiden lernen, wo die sozialen Geschichten ihren Ort haben und wo wir uns dem Gebet widmen. Aus meiner Sicht ist Gebetsforschung auch eine Art Wissenschaft, mit der wir lernen können, sehr gewissenhaft umzugehen.
Ati stimmt zu, die Wolken verdichten sich über uns und es ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir unsere Wasser in die Mitte einladen. Es beginnt leicht zu regnen, was wir als lebendige Antwort auf unser Gebet empfinden. Jetzt fehlen leider die klaren Anweisungen. Rajendra aus Indien steht auf und spricht kraftvoll auf seine Art über die heiligen Wasser aus Indien, die er mitgebracht hat. Sein Wasser kommt aus einer Höhe von über 7.000 Metern. Sein großes Anliegen ist, dass wir unsere persönlichen Belange zurückstellen und uns wirklich mit den Wassern verbinden. Er vollzieht diese Dinge auf seine sehr eigene Art und sie sprengen vielleicht ein wenig die Tradition, in der hier Gebete durchgeführt werden.
Durch eine etwas holprige Kommunikation entstehen Verletzungen, die fast dazu geführt haben, dass einzelne den Kreis verlassen hätten. Vertrauen aufzubauen zwischen den verschiedenen Kulturen ist eine enorme Arbeit.
Lalo aus Mexiko stellt auf schöne Weise sein Wasser vor, aber die anderen sind abgelenkt und nicht konzentriert. Wieder ist jemand dabei, den Kreis zu verlassen. „Ich ertrage diese Energie nicht“, sagt sie leise. Ich betrete die Mitte und bringe zum Ausdruck, dass ich so nicht weitermachen kann, dass unsere Wasser eine andere Gegenwärtigkeit brauchen und dass die heiligsten Wasser nicht helfen, wenn wir nicht bereit sind, die menschliche Kohärenz herzustellen.
Der Regen kommt näher. Wir alle geben unsere kleinen Fäden, mit denen wir gebetet hatten, an den Mamo. Die größte Friedensarbeit findet unter uns Menschen statt, daran führt kein Weg vorbei. Jetzt bin ich sehr gefragt, in meiner Kunst zu vermitteln. Der Mamo, Ati und ihre Mutter kommen auch mit einer kleinen Delegation, um die gekränkten Personen zu beruhigen. Sie willigen ein, zu bleiben. Wir beschließen am Nachmittag alle unsere Wasser vorzustellen, die wir mitgebracht haben.
Jetzt findet Versöhnung in unserer Gruppe statt. Gabriel beginnt zu singen. Nevaith steht auf, umarmt Ati und den Mamo. Jetzt beginnt eine Runde der Umarmungen. Es ist tatsächlich eine große Herzöffnung unter uns allen spürbar und wir sind bereit, die Runde fortzusetzen.
Heilung des Wassers hat viel mit der Reinigung unserer Gefühle, unserer Worte und unserer Gedanken zu tun. Vielleicht hat in diesem Moment ein Stück der Reinigung unserer Gewässer stattgefunden.
Am Abend werden wir zu einem Tanzabend eingeladen. Es ist eine kraftvolle Musik der Indigenen, wo sich Freude und revolutionäre Kraft verbinden.
Samstag, 16. November, und Sonntag, 17. November
Um die Arbeit hier besser zu verstehen, ist es wichtig etwas von der Kosmologie der Arhuaco zu verstehen. Aus ihrer Sicht ist diese Gegend das Herz der Welt. Sie fühlen sich seit vielen Jahren nicht gesehen und nicht gehört und deswegen setzen sie große Hoffnung in dieses Treffen, weil sie erwarten, dass durch diese Allianz eine dezentrale Macht aktiviert wird, die in Resonanz mit der Erde eine neue Kraft aufstehen lässt, die uns befähigt, unsere Lebenssysteme neu und in Resonanz mit dem Erdkörper zu organisieren.
Es war für sie von großer Bedeutung, dass wir genau zu Vollmond unser Gebet mit dem Erdkörper durchgeführt und die Reinigung mit unserem Ursprung und den Orten unserer Geburt vollzogen haben.
Nach dem Gebet am Kaduku, dem Ort, wo wir mit der Erde kommunizieren, kommen wir erneut in einem Kreis am Feuer zusammen. Vier Stunden sitzen wir beieinander und jeder von uns ist gerufen, Worte für das, was uns heilig ist, zu finden. Bewegende Worte kommen in unsere Mitte und wieder werden wir Zeuge von dem Schmerz darüber, dass die Menschheit ihre Weisheit verloren hat, mit dem Leben und der Erde zu kooperieren.
Ich nutze die Gelegenheit, um über die Bedeutung von uns Menschen und die enorme Verletzung der sexuellen Quelle zu sprechen. Solange wir diese nicht heilen, entsteht immer wieder neue Gewalt zwischen uns Menschen und wir leben in Trennung von der Matrix des Lebens. Wir tragen eine hohe Verantwortung mit dieser Schöpfungsquelle. Solange wir nicht erkennen, dass die sexuelle Quelle die Schöpfung wiederspiegelt und weit über unsere persönlichen Bedürfnisse hinausgeht, können wir nicht wirklich heilen und nicht auf die Stimme der Elemente in uns hören.
Nevaith, die vor Kurzem noch sehr schüchtern war, spricht in bewegenden Worten über die Heiligkeit des Lebens, und wie sehr sie auf der Suche nach den unverstellten Quellen der Wahrheit ist. Die mexikanische Gruppe bringt uns die Seele Mexikos nah und Eleanor findet Worte der Hoffnung für die Jugend.
Ati schließt den Kreis mit einer flammenden Rede. Ich gebe es in freien Worte wieder: Die Erde ist unsere Mutter, sie kreiert die Gesetze und die Ordnung. Wir harmonisieren uns mit ihr. Wenn wir gute Arbeit machen, wird sie uns helfen, unsere gemeinsame Deklaration zu finden. Wir repräsentieren viele Qualitäten. Wir haben selten die Möglichkeit, mit so vielen Kulturen zusammenzukommen. Hier sind heilige Orte, die uns hören. Sie erkennen uns. Wir haben ein Recht hier zu sein, aber wir holen für alle unsere wesentlichen Aktivitäten immer die Erlaubnis ein. So können wir in Kooperation mit der Erde unser Ziel erreichen. Ka bedeutet Erde, Ta heißt Wahrheit.
Es ist klar, dass wir Macht brauchen, aber die Macht die derzeit angewendet wird ist eine kranke Macht. „Defend the Sacred“ hat aus unserer Sicht die Aufgabe, ein Schule aufzubauen, wo wir die elementaren Gesetze der Erde kennenlernen. Entweder wir erhöhen unser Bewusstsein, oder wir gehen unter. Wir leben in einer Zeit des Morgengrauens, einer Zeit des Erwachens. Um unsere Arbeit tun zu können, müssen wir mit unserer Angst arbeiten. Wir müssen sie erkennen und loslassen.
Dafür ist im Moment das Wissen der Frauen von großer Bedeutung. Kumuku – so nennen die Arhuaco das Wissen der Frauen. Wir müssen eine kollektive Leitung finden, die in Resonanz mit dem Ganzen steht.
Abschlussgedanken:
Immer wieder denke ich an Andrea, Katja und Elisa, die noch immer in der Friedensgemeinschaft von San José sind, um sie mit ihrer Anwesenheit vor Überfällen zu schützen und sich mit ihnen über weitere Möglichkeiten des Schutzes in der Zukunft auszutauschen. Katja hat die Kosmogramme im Steinkreis dort gereinigt und mir Bilder geschickt, über die ich mich sehr gefreut habe. Andrea führt viele Gespräche mit ihren langjährigen Freunden dort und bringt die Menschen mit ihrer Art zum Lachen. Und Elisa lernt nun auch den Alltag der Comunidad de Paz kennen. Wir schreiben uns immer wieder Nachrichten, um zu erfahren, wie es uns gegenseitig ergeht.