In Tamera wird heute Samhain gefeiert, ursprünglich ein keltischer Feiertag, wo die Legende sagt, dass das Tor zur Ahnenwelt besonders geöffnet ist. Wir nutzen seit einigen Jahren diesen Tag, um uns mit all denjenigen zu verbinden, die uns nahe stehen und die verstorben sind. Es ist ein besonderer Tag der Besinnung und Meditation für diejenigen, die das wünschen und brauchen.

Auf unserem sogenannten “heilgen Berg” unterhalb des Steinkreises haben wir eine kleine Gedenkstätte eingerichtet, für all diejenigen Menschen aus der Friedensgemeinschaft San José de Apartado, die dort in den letzten Jahren umgebracht wurden. Normalerweise verbringe ich in Tamera zum Ahnentag eine Wachnacht an unserem Altar und im Steinkreis und Andrea versammelt jedes Jahr Menschen an der Gedenkstätte.  Wir sind dieses Jahr das erste Mal nicht in Tamera.

Um uns einzuschwingen, fahren wir mit der Seilbahn auf den ca. 2800 m hohen Berg zur schwarzen Madonna von Monsarrate. Es ist Sonntag und es sind viele Menschen unterwegs. Dicht gedrängt stellen wir uns in die Schlange, eigentlich ein absurdes Unterfangen, was ich normalerweise nicht freiwillig machen würde. Aber eine Stimme ruft uns eindeutig auf den Berg. “In Gott gibt es kein Warten,” ist mein Kraftsatz und Andrea und ich nutzen die Zeit für angeregte Gespräche.

Dicht gedrängt stehen die Menschen eng aneinander, manche mit Maske, andere ohne, freundliche Frauen machen uns aufmerksam darauf, dass wir aufpassen sollen auf unsere Taschen. Eine merkwürdige Mischung aus Vertrauen und Misstrauen. Taschendiebe gehören hier zum Alltag.

Es ist merkwürdig, was für eine Faszination die schwarze Madonna auf die Menschen ausübt. Ursprünglich aus Spanien hierhergebracht, ist sie ein Wahrzeichen für die Stadt geworden.

Woher diese Magie? Die schwarze Madonna wird verbunden mit Trauer, Schmerz, Wandlung, aber auch Schutz und Geborgenheit.

Auf dem Berg erwartet uns eine Messe – modernisierte christliche Lieder tönen aus den Lautsprechern, Hunde, Touristen, Betende, alles mischt sich zu einem eigenartigen Szenario. Der Priester findet erstaunlich aufrüttelnde Worte zur Situation der Menschheit und der Erde. Wieder und wieder fällt das Wort “paz”. Irgendwie bewegend – es versammeln sich hier Suchende, womöglich verbergen sich hinter den anonymen Gesichtern Männer vom Paramilitär, daneben tief gläubige Katholiken, Rechte und Linke, sehnsüchtig Suchende, alle unter einem großen Dach, betend für den Frieden. Vor uns kniet eine junge Frau mit Zöpfen inbrünstig betend neben ihrem Schäferhund. Über uns thront die schwarze Madonna, eine Kugel in der Hand haltend, die das Universum repräsentiert. Wieviel Gewalt hat sie schon sehen müssen, wieviel Verzweiflung, wie viele Tränen!

Und neben dieser verlogen anmutenden Schicht waltet doch etwas Mächtiges, was alle Weltanschauungen durchdringt und nach Innehalten ruft.

Auch wir verbinden uns für eine Weile in stiller Meditation, neben allem Katholizismus. Ich empfinde diesen Ort als Kraftort und wir besuchen ihn auf jeder Reise nach Kolumbien, um uns zu verbinden mit der Schwingung dieses Landes.

Anschließend suchen wir unseren Ort in der Natur, klettern über einen kleinen Zaun, nehmen unsere Rassel und unsere Klangschale mit und feiern auf unsere Weise den Ahnentag und lauschen hinein, was uns auf dieser Reise erwartet, was es zu beachten gilt und grüßen unsere Genossen aus der unsichtbaren Welt!

Wie viele Jahrhunderte ringen schon alte hohl gewordene religiöse Riten und religiös starr gewordene Institutionen mit der revolutionären, suchenden Seele, die sich nach Freiheit, menschlicher Gerechtigkeit und Wahrheit unter Menschen sehnt. Und die Erde lässt es geduldig mit sich geschehen, vielleicht auch voller Sehnsucht nach den erwachenden Menschen.

Für uns war es ein nährender und stärkender Tag.

Unsere Reise beginnt. Die letzten Tage waren sehr intensiv!

In Tamera konnte ich Abschied nehmen auf unserem Berg der Vision. Der Berg der Vision – dort oben soll eine Stupa – ein buddhistisches Denkmal entstehen. Der Landschaftspark MarIsis nimmt Formen an!

Was für ein Land wir da zur Verfügung haben! Und was für ein Lernvorgang, mir den Kräften der Erde zu kooperieren. Wenn wir es dort wieder erlent haben, werden wir es auch unter Menschen leichter können, denn wir sind wieder gebettet im Vertrauen an das Leben.

Der Landschaftsparl soll unsere Visionskraft nähren und deutlich zeigen, dass wir als entstehendes Heilungsbiotop offen sind für viele verschiedene Kulturimpulse. Was haben wir aus den Kulturimpulsen dieser Erde erhalten und gelernt – und was schenken wird zurück. Und immer lautet die Frage: was dient der Vision von einem Friedensprojekt, das einen wesentlichen Beitrag leisten möchte, um die Gewalt auf allen Ebenen transformieren zu können.

Möge die Gemeinschaft von innen die Vision finden, die unserer Freiheit und unserer Verbindlichkeit entspricht.