Am 3. Juni flogen Andrea Phoebe Regelmann, Sabine Lichtenfels und Helena Manrique gemeinsam nach Bogotá, um an einem bedeutenden Event teilzunehmen, bei dem die kolumbianische Regierung sich offiziell für die schweren Menschenrechtsverletzungen bei der Friedensgemeinschaft San José de Apartadó entschuldigte. Wir besuchten die Friedensgemeinschaft bereits im November gemeinsam, und es verbindet uns eine tiefe Freundschaft. Dies war ein historischer Moment, der die Werte und den Einsatz für den Frieden und die Gerechtigkeit der Gemeinschaft unterstrich.
Personenbeschreibungen:
• Sabine Lichtenfels ist eine Mitbegründerin von Tamera und eine erfahrene Friedensaktivistin, die sich für soziale Gerechtigkeit und den interkulturellen Dialog einsetzt. Ihr Engagement für die Friedensgemeinschaft San José de Apartadó und ihre Arbeit im Bereich der Versöhnung haben sie zu einer wichtigen Stimme in der internationalen Friedensbewegung gemacht. Sie leitete 2012 eine Pilgerschaft zusammen mit Padre Giraldo Xavier , und Eduard Lancheiro in Bogota und dem Paramo, um auf die verheerende Situation und die Massacker, die an der Friedensgemeinschaft gegangen wurden, aufmerksam zu machen.
• Andrea Regelmann ist ebenfalls Teil des Tamera-Teams und engagiert sich leidenschaftlich für die sozialen und medizinischen Themen. Durch ihr langjähriges Engagement mit Tamera hat sie viel Erfahrung gesammelt in Bereich der Versöhnungsarbeit mit Gemeinschaften gesammelt, die von Gewalt und Konflikten betroffen sind. Seit 2005 ist sie die Hauptsprecherin und begleitend für die Friedensgemeinschaft. Ihr Beitrag zur Stärkung der Friedensgemeinschaft ist entscheidend, da sie Brücken zwischen Menschen und Kulturen baut.
• Helena Manrique ist Menschenrechtsaktivistin und Psychologin. Sie arbeitet seit vielen Jahren sowohl in Kolumbien als auch in Palästina, insbesondere in Gaza. Wenige kennen die politischen und sozialen Hintergründe so gut wie sie. Sie setzt sich seit Jahren für die Dokumentation und Anprangerung von Menschenrechtsverletzungen ein und unterstützt aktiv die Opfer. Es war für uns ein großes Geschenk, dass sie mit uns gereist ist und bereit war, in vielen Fällen als Übersetzerin einzuspringen.
Während der Zeremonie standen die Porträts der Opfer im Mittelpunkt. Die Stimmen ihrer Angehörigen und die Zeugnisse des Kampfes der Gemeinschaft wurden laut gehört. „Wir wollen keine Rache, wir fordern Wahrheit, Gerechtigkeit und Garantien für ein Nicht- Wiederholen“, sagte eine ihrer Vertreterinnen.
Die Gemeinschaft, die aus Landwirten der Region Urabá in Antioquia besteht, ist seit ihrer Gründung im Jahr 1997 ein Symbol des zivilen Widerstands und der Neutralität im bewaffneten Konflikt. Die Entscheidung, sich nicht mit bewaffneten Akteuren zu verbünden, hat sie sehr teuer bezahlt: Massaker, Verfolgungen, Zwangsvertreibungen und eine mehr als zwei Jahrzehnte andauernde Straflosigkeit der Täter sind die traurigen Erfahrungen, die sie durchlebt haben.Der Anlass dieser Reise war von großer Tragweite. In einem beispiellosen Akt, der auf dem Plaza de Armas der Casa de Nariño in Bogota stattfand, erkannte der kolumbianische Staat öffentlich seine internationale Verantwortung für die schweren Menschenrechtsverletzungen an der Gemeinschaft von San José de Apartadó, die zwischen 1997 und 2007 begangen wurden. Der Präsident Gustavo Pedro leitete die Veranstaltung, die im ganzen Land übertragen wurde.
Er erklärte:
„Die gesamte Regierung muss um Verzeihung bitten, nicht nur die Exekutive.“
Mit dieser Aussage, die sich auf staatliche Strukturen und Akteure bezog, kritisierte er die Langsamkeit des Justizsystems bei der Aufklärung der Verbrechen gegen die Gemeinschaft. Nach der Entschuldigung wies der Präsident darauf hin:
„Das große Anliegen ist, dass die Worte in Taten umgesetzt werden müssen. Die effektive Umsetzung des Abkommens wird entscheidend sein, um das Vertrauen zwischen dem Staat und einer der beispielhaften Gemeinschaften des Landes wiederherzustellen.“
Diese Aussagen unterstrichen die Wichtigkeit der nächsten Schritte und schufen Anlass zur Hoffnung.
Der unterzeichnete Vertrag umfasst eine Reihe von Maßnahmen zur umfassenden Reparatur, darunter:
• Öffentliche Anerkennung: Ein Akt am 5. Juni, in dem die Arbeit der Gemeinschaft von San José de Apartadó als Beispiel für Widerstand und Neutralität gewürdigt wurde.
• Errichtung von Denkmälern und Gedenkstätten: Bau und Erhalt von Denkmälern, Plaketten und Wandgemälden zu Ehren der Opfer, um die historische Erinnerung der Gemeinschaft zu bewahren.
• Auflage eines Buches: Veröffentlichung eines Buches, das die Geschichte der Gemeinschaft von San José de Apartadó und die erlittenen Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, als pädagogisches Werkzeug und kollektives Gedächtnis.
• Strafrechtliche Ermittlungen: Gründung einer speziellen Gruppe von Staatsanwälten und CTI-Mitgliedern zur Beschleunigung der Ermittlungen zu den Menschenrechtsverletzungen, die die Gemeinschaft erlitten hat.
• Unabhängige Kommission: Geleitet von der Defensoría del Pueblo, die die durchgeführten Ermittlungen bewerten und dem Staat Empfehlungen für eine effektive Gerechtigkeit in den ausstehenden Fällen vorschlagen wird.
Mit Wortgewalt machte der Präsident aufmerksam auf den derzeitigen Genozid, der in Gaza stattfindet. Solange dies weltweit geduldet wird, werden die Massacker, die weltweit geschehen, weiterhin gedeckt sein. Nur durch einen globalen gemeinsamen Widerstand kann das Unrecht auf dieser Erde beendet werden und die Stimme des Lebens ihr Recht finden.
Insgesamt war die Veranstaltung am 5. Juni nicht nur eine Entschuldigung, sondern auch ein moralischer Sieg für all jene, die glauben, dass gewaltfreier Widerstand in Kolumbien möglich ist.
Der wirkliche Herausforderung besteht darin, dass die Worte in Taten umgesetzt werden. Die Wirksamkeit der Umsetzung des Abkommens wird entscheidend sein, um das Vertrauen zwischen dem Staat und dieser emblematischen Gemeinschaft wiederherzustellen.
Trotz dieser ernüchternden Realität entschuldigte sich der Präsident in einer sehr berührenden Weise bei der Friedensgemeinschaft und sagte: „Euer Mut setzt ein Beispiel dafür, wie man auf sinnloses Morden nicht mit Hass oder Rache reagieren sollte, sondern mit einer ernsthaften Suche nach Alternativen.“
In diesem Sinn nannte er die Friedensgemeinschaft als eine moralische Hilfe für alldie Opfer in Gaza, wie sie jetzt ihren Schmerz, ihre Trauer Wut und Empörung umwandeln können in eine Kraft der Vision. Diese emotionale Botschaft ging uns allen sehr nahe, und viele von uns mussten weinen.
Dies stellt auch den Zusammenhang dar zu der Rede, die Sabine Lichtenfels gehalten hat, denn sie weist immer wieder darauf hin, dass die Friedensgemeinschaft zu einer Modellregion erklärt werden müsste, wo Menschen, die die Waffen niederlegen wollen, den gewaltfreien Widerstand erlernen können, der sie gleichzeitig verbindet mit einer grossen Vision, wie dieser Planet Erde bewohnt werden kann. Nur durch den Aufbau gewaltfreier dezentraler Friedensmodelle, glaubt sie langfristig an den Erfolg. Nicht Regierungen, sondern modellhafte Friedensregionen werden sie soziale Revolution einleiten, die wir heute brauchen.
Folgende Worte sprach sie auf der Bühne, übersetzt von Helena Manrique.
20 Jahre Solidarität mit der Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó:
„Wir pflegen eine enge Partnerschaft mit der Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó – ein herausragendes Beispiel für gewaltfreien Widerstand, Versöhnung und Gemeinschaftsbildung angesichts unsäglicher Gewalt.
Seit 2005 begleiten wir ihren Kampf, indem wir sie politisch und kommunikativ unterstützen, internationale Delegationen und Bildungsveranstaltungen organisieren, Technologien weitergeben, Plattformen schaffen, um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen, und innerhalb unserer internationalen Allianzen zusammenarbeiten. Unsere Beziehung basiert auf gegenseitigem Lernen, Vertrauen und der gemeinsamen Verpflichtung, gewaltfreie Alternativen von Grund auf aufzubauen.Unsere Vision Kolumbiens Weg zum Frieden erfordert mehr als Abrüstung: Er erfordert die Erneuerung der Gesellschaft von Grund auf. Friedensgemeinschaften wie San José de Apartadó zeigen einen gangbaren Weg für Kolumbien auf, um die systemischen Ursachen des Krieges zu bekämpfen, darunter Ungleichheit, Landraub, Umweltzerstörung, Trauma und soziale Fragmentierung. Der in Kolumbien notwendige soziale und ökologische Wandel erfordert praktische Beispiele für glaubwürdige Alternativen zu einer Kultur der Ausbeutung und des Krieges.
Wir glauben, dass die Unterstützung dezentralisierter und regenerativer Gemeinschaften und die Nachahmung ihrer Prinzipien – einschließlich Solidarität, lokaler Autonomie, Nahrungsmittel- und Wassersouveränität, wiederherstellender Gerechtigkeit und einer Kultur der Gewaltlosigkeit – ein Schlüssel für den in Kolumbien erforderlichen sozialen und ökologischen Wandel sein wird.“
Die Philharmonie von Bogota spielte während des Events die Hymne der Friedensgemeinschaft.
100 Mitglieder der Gemeinschaft waren anwesend und hielten die Fotos der ermordeten Mitglieder in die Höhe. Es war ein sehr emotionales Gesamterlebnis. Sabine Lichtenfels hob in ihrer Rede die Qualität der Friedensgemeinschaft hervor:
“Euer Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit inspiriert uns alle. Lasst uns weiterhin gemeinsam nach Lösungen suchen für eine Welt ohne Gewalt.“
Nach der Veranstaltung wurden wir alle auf die Bühne gebeten, einschließlich des Präsidenten und der Friedensgemeinschaft. Ich nutzte die Gelegenheit, um dem Präsidenten die Heilige Matrix zu überreichen. Er war sichtlich bewegt, hatte Tränen in den Augen und umarmte und küsste Sabine Lichtenfels zum Dank. Dieser Moment war äußerst berührend und bleibt mir in Erinnerung.
Zusätzlich zu Andrea, Sabine und Helena reisten auch Rajendra Singh und Indra Singh aus Indien mit. Rajendra Singh ist ein renommierter Wasserexperte, bekannt für seine bedeutenden Beiträgezur Wasserbewirtschaftung in Indien. Ihr Wissen und Engagement erweiterten den Rahmen der Veranstaltung um einen wichtigen ökologischen Fokus. Auch sie setzen sich für den Schutz der Friedensgemeinschaft ein und nennen die Gemeinschaft als hervorragendes Beispiel für gewaltfreien Widerstand, die dem Beispiel von Gandhi gleichkommen würde. Rajendra hielt während unseres Aufenthaltes viele öffentliche Interviews, um auf die globale Bedeutung der gewaltfreien Kooperation aufmerksam zu machen. „Was uns alle verbindet ist der gemeinsame Einsatz für die Wasserrechte.“ Er bedankt sich bei der Gemeinschaft für ihren bedingungslosen Einsatz für die Biodiversität und den Schutz ihrer Region.
Heute sind die Mitglieder der Friedensgemeinschaft zurück gereist. Sie sind zufrieden, auch für sie war es ein historisches Ereignis. Aber doch bleibt die brennende Frage offen: sind wir jetzt noch stärker der Bedrohung ausgesetzt, als zuvor? Durch die radikalen Worte des Präsidenten, die ja eher die Worte eines engagierten Aktivisten waren, als Worte eines Präsidenten, der die Macht hat, die Friedensgemeinschaft zu schützen, kann es sein, dass die Gemeinschaft jetzt verstärkt weiteren Bedrohungen ausgesetzt sein wird vom Paramilitär und dem Plan del Golfo, bei denen bis heute die wirkliche unaufgeklärte Macht liegt. Die Frauen fühlen sich bedroht, sie erhalten tägliche Drohungen, dass man sie vergewaltigen werde und täglich gibt es Morddrohnungen, vor allem gegen die Leiter der Friedensgemeinschaft. Besonders in den Weilern, wo nur wenige leben, sind sie ständiger Bedrohung ausgesetzt. Sie gehen dankbar aber auch ernüchtert aus diesem Treffen hervor und der tägliche Kampf ums Überleben wird weiter gehen.
Zuletzt wurden wir noch Zeuge eines Theaterstückes, von einem Jugendtheater der Gemeinschaft aufgeführt, wo sie in berührender Weise ihre Situation dargestellt haben. Es war ein erschütterndes Beispiel dafür, wie bereits Jugendliche es lernen ihren Schmerz, ihre Enttäuschung und ihren Zorn in bedingungslose Anteilnahme für die Liebe zum Leben und für diese Erde transformieren können.
Zusätzlich hatten wir viele weitere Treffen und Gespräche mit Vertretern der Interreligiösen Gemeinschaft und dem Mamo Mey-Jawin aus der Sierra Nevada de Santa Marta! „Wir kennen uns, wir werden noch zusammenarbeiten“ waren seine lachenden Worte, als er mich zum Abschied umarmte.
Zwei Tage nach der Friedensveranstaltung in Bogota wurde Miguel Uribe, der Oppositionspolitiker und neue Präsidentschaftskandidat bei einer Wahlkampfveranstaltung angeschossen und schwer verletzt. Als wolle der Kosmos die dramatischen Hintergründe der historischen Friedensbemühungen und ihre dramatischen Hintergründe in Kolumbien noch unterstreichen, erlebten wir zusätzlich am selben Tag ein Erdbeben in der Stärke von 5.2. Während dieser Artikel von uns geschrieben wurde, begann die Erde heftig zu beben. Von der Friedensgemeinschaft erfuhren wir später, dass sie alle aufgefordert wurden, das Hotel zu verlassen und viele Menschen standen mit Schlafanzügen auf der Strasse. Es kam niemand zu Schaden.
Mamo Mey-Jawin aus der Sierra Nevada de Santa Marta meinte dazu, dass er am merkwürdigen Verhalten der Ameisen gesprüht habe, dass es ein Erdbeben geben wird. „Die Erde muss sich manchmal schütteln, das hilft uns Menschen, die Dinge in ihre richtige Ordnung zu rücken und zu korrigieren, was aus der Balance geraten ist.
Insgesamt war es eine Reise voller Emotionen und bedeutungsvoller Begegnungen, die uns alle tief berührt hat.
Medienberichte:
• Zeitpunkt: Kolumbien – Vergebung und Gemeinschaft statt Rache