Eine bewegte Nacht liegt hinter uns! Zwischen zwei und drei Uhr gab es Schüsse in der Nachbarschaft. Es ist als fühle man den Druck, unter dem die Gemeinschaft andauernd steht, auf der eigenen Seele.

Es ist ein gewaltiger Umbruch, das alte System der Gewalt stößt auf ein neues System. Es ist das eine, das Ziel der autarken Friedensmodelle in der Theorie zu kennen, ohne das hätten viele von uns sicher längst aufgegeben, das andere aber ist fast noch entscheidender für das Gelingen: Wie weit kann der einzelne durch die eigenen Schichten von Angst, Trauma, Karma so weit durchdringen, dass man innerlich wirklich in der Lage ist, das neue System zu vertreten, frei von Ideologie.

Autarkte Lebenssysteme brauchen autonome Menschen, die in der Lage sind, sich aus unbewussten Konditionierungen zu befreien. Wenn wir im Innern die Autarkie entdecken, herausfinden wer wir wirklich sind, können wir unseren Ort in der universellen Gemeinschaft einnehmen.  Bleiben wir im Vertrauen, wenn wir einmal gar nicht wissen, wo es lang geht und vertrauen darauf, dass uns das Ziel immanent ist?

Heute ist hier in Kolumbien Allerheiligen. Seit der Nacht vom 31. Oktober bis zum 7. November findet die Besinnung auf die Toten statt und auf das, was ihnen wirklich heilig ist.

Brigida kommt zum Frühstück. Sie erzählt über den 1. November hier und die Nacht vom 31. Oktober. Sie sagt, dass die verstorbenen Seelen in dieser Zeit besonders nah seien, deswegen sei in dieser Zeit besonders viel los. Sie erzählt, dass die Kinder manchmal, wenn sie in der Nähe der Kapelle spielen, weiss gekleidete Figuren sehen. „Wir sind nicht allein, sie sind bei uns. Eduard stirbt nie wirklich, er ist mit uns, weil er weiß, dass wir ihn brauchen.“ Ich frage sie, ob sie gelegentlich von ihm träumt. Sie verneint, nein in den Träumen hat sie ihn nicht gesehen, aber er und eine andere Freundin, die bei einem Massakcker umgekommene ist, erscheint ihr oft ganz überraschend, mitten am Tag. Sie betet jeden Morgen in der Früh und auch in der Nacht.

Schliesslich kommt auch Brigidas Sohn Idomar, mit seiner Frau Ruby und seinem Kind. Sie empfinden es nicht als so leicht, dass die Gemeinschaft sich verkleinert hat. Sie sind der Ansicht, dass die ursprüngliche Idee der Gründergeneartion immer mehr in den Hintergrund geraten ist.

Isidor sagt jedoch mit festem Ton: „Die guten Gedanken können auch in dieser Zeit nicht verschwinden. Wir leben in einer Zeit der mächtigen Prüfungen. Es fehlt der jüngeren Generation der revolutionäre Geist, sie können den Pioniergeist der ersten Generation nicht mehr wirklich nachvollziehen. Warum so radikal, warum nicht etwas bequemer und schlichter miteinander leben?“

Am Nachmittag kommt der Consejo zurück und wir verbringen Stunden miteinander mit der Frage, was ist zu tun, wie können wir uns gegenseitig stärken. Darüber erzähle ich morgen, wenn ich etwas Zeit finde. Es ist alles sehr bewegend.

Bevor wir zu Bett gehen treffen wir die ganze Gemeinschaft, begrüssen sie und erzählen ihnen unseren Plan vom Global Grace Day. Ein voller Tag! Zeit für die Nachtruhe, um alles zu verdauen!