Langsam wir es herausfordernd, einen klaren Geist zu behalten. Ich kenne den Ablauf schon, jedes Mal, wenn ich hier war, kommt irgendwann der Moment, wo es schwer wird, all die Geschichten zu verdauen.

Da kommt dann so ein Ruf aus der Seele: “Mein Gott warum lässt du das alles zu?” an einen Gott, der nicht existiert? Schon als Kind habe ich mich gefragt: „Warum so viel Ungerchtigekeit?“ In meinen Meditationen erhalte ich immer wieder die Antwort: „Das Göttliche ist angewiesen auf den Menschen. Ohne unsere Öffnung ist das Göttliche ohnmächtig. Wann sind wir als Menschheit bereit, die Verantwortung anzunehmen, die aus der Anteilnahme am Schicksal der Welt entsteht?“ Es scheint so zu sein, dass wir in uns selbst die göttliche Wirklichkeit entdecken müssen.

Aber die Seele will es nicht wahrhaben, dass so viel Ungerechtigkeit und Grausamkeit auf unserer Erde einfach geschieht und von so vielen ignoriert wird. Es ist ein Unterschied, ob man es in den Nachrichten hört oder ob man ganz nah dran ist.

Arley, der im Consejo ist und seit vielen Jahren in der Friedensgemeinschaft lebt, erzählt uns seine Geschichte der letzten Jahre. Er hat vor einigen Jahren einen Überfall vom Paramilitär erlebt. Mit Pistole an den Kopf wurde ihm das ganze Geld abgenommen, was er von der Bank für die Friedensgemeinschaft abholen wollte. Für ihn war das so existentiell, dass er bis heute damit ringt. Er hat sich für eine Weile vollkommen zurückgezogen. Unbewusst fühlte er sich schuldig dafür, dass es ihm passiert ist. Es hat zwei Jahre gebraucht, bis er wieder zurück gekommen ist und die Gemeinschaft hat ihn gebeten, wieder in den Consejo zu gehen.

Die vielen Ding, die wir im kleinen Kreis bereden, möchten wir nicht ins öffentliche Tagebuch bringen, denn es soll nicht an falsche Adressen geraten. Aber zusammenfassend kann man sagen: Sie brauchen die Solidarität und die Anteilnahme von uns mehr denn je. Die Pandemie war ein komplexes Geschehen. Ein Stop auf allen Ebenen. Soziales Chaos überall. Keine internationale Präsenz mehr. Gleichzeitig haben sie in der Pandemie  auch neue Kooperationspartner entdeckt. “Es ist eine neue Episode der Menschheit, in der wir uns befinden. Es ist auch ein grosser Riss in der ökonomischen Situation, in der Energiekrise, und in der ökologischen Situation. Die Politik hat sich drastisch geändert.

Seit sechs Jahren haben wir viel probiert, immer unter dem Druck von Krieg, wachsender Gewalt, bewaffnetem Kampf, viele Tote – wir haben alles dies überlebt.

Jetzt ist es noch mal anderes. Wir haben auf diesem Weg sehr viele  Menschen verloren, Menschen die uns nahe standen. Jetzt verlieren wir Menschen, die uns nahe stehen und noch leben, dieses mal nicht durch äußere Gewalt, es ist viel subtiler geworden. Das Leben hat sie uns genommen. Wir sind lange einen gemeinsamen Weg gegangen, haben uns gegenseitig begleitet, und dann haben immer mehr uns nah stehende Menschen die Gemeinschaft verlassen.

Menschen, die uns sehr wichtig waren. Das ist schmerzhaft. Das hat einen starken Einfluss auf unsere Situation. Es sind nicht mehr Waffen, sondern eine Welt der anderen Ideologien, die durch permanenten Druck und durch falsche Versprechungen die Menschen aus der Gemeinschaft weg locken. Das Schlimmste für uns: Jugendliche, die vorher in der Gemeinschaft waren, sind jetzt beim Paramilitär, einige davon wurden kurz danach umgebracht.

Ein Hauptfaktor, der diese Störung gebracht hat: sie waren anfällig für Geld. Internationalen Firmen mit Arbeitsangeboten, der mächtige Einfluss vom Internet, ein Leben in der Stadt, das zieht die Jugend an. Man möchte dabei sein, man möchte dazu gehören. Und sie bieten sehr viel Geld.

Es sind nicht nur die Projekte des Staates, die Entschädigungen zahlen, sondern auch und vor allem vom Paramilitär kommt die Verführung– sie schaffen es, mit Geld einen Riss durch die ganze Gemeinschaft zu erzeugen. Dass Menschen sich verführen lassen, hat im Kern damit zu tun, dass sie das Vertrauen und die Hoffnung verloren haben. Sie haben keine grösseren Ziele mehr, wollen aber ein komfortableres Leben. Der Staat hat in den letzten Jahren neue Strategien gesucht, um die Familien zu infiltrieren, die noch im Widerstand sind. Eigentlich ist es ziemlich klar, es wird den Menschen erzählt, dass es ein Fortschritt sei, so zu leben. In Wahrheit werden sie und die wahren Werte quasi verkauft. Man versucht den Menschen “Gutes Leben – bien vivir” zu verkaufen. Es ist sehr traurig, eigentlich wissen sie das und doch lassen sie sich verführen. Sie bekommen einen Monatslohn, werden in die Arbeit eingebunden und damit vom Land weg gelockt, die schwierige finanzielle Situation zwingt immer mehr Bauern dazu, das Land zu verlassen. Seit zwei Jahren ist die Kakaoernte wegen zu heftiger Regenfälle ausgefallen. Die Kakaoernte ist unsere zentrale Einnahmequelle, die plötzlich ausgefallen ist, “ so etwa schildert Arley die gegenwärtige Situation.

German, momentan der Leiter der Gemeinschaft, ein stiller und sehr besonnener Mann fügt hinzu: “Das was jetzt gerade so passiert, bewegt uns sehr, und diejenigen, die bewusst teilhaben an dem Prozess sind am reflektieren, wie geht es jetzt weiter. Es schmerzt sehr, es gab keine wirkliche Reflexion in der Gemeinschaft, was unsere wahren Rechte sind. Und so geht die Mühle immer weiter. Junge Menschen werden umgebracht. Weiter wird die Hetze gegen uns genährt, dass die Gemeinschaft hier weg muss. Wir stören den “Fortschritt”. Es ist sehr traurig.

Menschen, die eigentlich verstehen könnten, lassen sich trotzdem auf den Betrug ein. In ganz Lateinamerika sind die Gemeinschaften vom Recht verlassen worden. Das Leben von der neuen Generation ist zerstört worden. In den Welt, in der wir leben, wird alles zerstört. Hier weiter die Kraft für den Widerstand zu behalten fordert viel von uns.

Wir sind natürlich sehr beschäftigt mit der Frage: wie kann die neue Generation menschlich besser leben?  Das System erlaubt nicht, dass sie wirklich darüber nachdenken, wie sie autonom leben können. Das ist unser Situation und es gibt nicht so viele, die von innen her eine klare Vision haben. Es ist ein sehr trauervoller Prozess für uns als Leitungsteam der Gemeinschaft. Aber so schwer die Situation auch ist, wir geben nicht auf, denn wir wissen, dass autonome Gemeinschaftsbildung der Ausweg ist, der einzige den wir kennen.”

Alle diese Berichte können einen sehr schwer machen – und doch wirken sie ausgeglichen, und sehr entschlossen.  Nebenbei wird viel gelacht und bei aller Schwere haben sie noch viel Humor. Sie haben ein wenig Hoffnung auf die neue Regierung, aber nicht zu viel, uns sie sagen auch, dass der gewaltfreie Widerstand auf einer anderen Ebene auch wächst. Es gibt immer mehr, die sich als Bauern behaupten wollen. Diejenigen, die jetzt noch hier sind, wissen warum sie hier sind, deswegen gehen die Entscheidungen schneller und das Vertrauen untereinander ist gewachsen.

Wir fragen sie, was sie sich von uns als Gemeinschaft wünschen. Was wäre eine Unterstützung in dieser Situation?

“Die Freundschaft, die Herzensverbindung zwischen den Gemeinschaften muss bleiben, sie soll wieder mehr spürbar werden und darf sich von den äusseren Schwierigkeiten nicht abhalten lassen. Wir müssen gemeinsam nachdenken, denn eure Unterstützung war für uns immer ganz wichtig. Tamera war und ist für uns eine zentrale Hoffnung. Wir empfinden euch als Schwester-Gemeinschaft.“ Und zuletzt kommt noch eine ganz schlichte Bitte:

„Eine Sache – wenn es geht, schreibt einen Brief an den Präsidenten über unsere Lage. Vielleicht können wir uns wieder eine gemeinsame Aktion ausdenken für den Frieden, etwas Gemeinsames zu unternehmen, das schenkt uns allen Kraft und man sieht, dass es sich bei unseren Themen um eine Globale Angelegenheit handelt.“